Betreibt man das Training mit Gewichten und nutzt zur Informationsgewinnung das Internet kommen Anfänger (aber auch Fortgeschrittene) schnell auf den Trichter, das ohne "den" perfekten Trainingsplan, den wichtigsten Supplementen sowie Ernährungsplan samt genauestens berechneter Verteilung von Makronährstoffen (Eiweiß, Fett und Kohlenhydrate) generell keine Fortschritte erzielbar sind.
Die Menge an Informationen zum Thema Bodybuilding, welche das Internet auf Abruf bereit hält, sind Fluch und Segen zugleich, überall gibt es Widersprüche und mittlerweile fühlt sich (gefühlt) jeder, der länger als 12 Monate trainiert hat dazu berufen, sein "umfangreiches" Trainingswissen im Internet (natürlich gegen mehr oder weniger Entgelt) dem nach Muskelwachstum lechzenden Hobbypumper anzupreisen. Dabei wird aus allem eine Wissenschaft gemacht, das fängt mit den Pausenzeiten während des Trainings an, geht über die Motivation und endet im "Lifestyle", also dem Thema Ernährung, Supplemente, Mealtiming usw. usf. Und immer gilt : Je wissenschaftlicher die eigene Idee des perfekten Trainings / Ernährung abgehandelt wird, umso besser und natürlich umso näher am heiligen Gral des Muskelwachstums. Je komplizierter, desto besser (und desto höher natürlich die Gainz! )
Und genau diesem Trend stellt sich das erfrischend kurzweilige Buch entgegen, welches ich hier vorstellen möchte.
"keep it simple" von Jürgen Stickelbrock
Jürgen Stickelbrock will aufräumen. Aufräumen mit Mythen und Märchen, die sich um unsere Lieblingssport "Bodybuilding" ranken und mitunter so oft erzählt worden sind, das sie mittlerweile nicht mehr als Märchen, sondern als Tatsache weitergegeben werden (bestes Beispiel sind die bunten Auswüchse in Pillen- und Pulverform der Supplemente-Industrie, ohne die es einfach nicht vorwärts gehen kann).
"Der deutschen Gründlichkeit ist die ach so unauffällig agierende Supplementbranche entweder komplett entgangen oder das ganze Zeug gehört in die Kamilleteeliga"
Es sind aber nicht nur die Auswüchse der Supplement-Industrie, die der Autor entzaubern möchte, sondern neben dem Thema "Ernährung" mit all seinen Facetten geht es auch diversen Trainingssystemen bei der Betrachtung durch den Autor an die Substanz.
Was dieses Buch an vielen Stellen auszeichnet ist die Tatsache, das es den Leser "erdet" und zu dem zurückführt, was Bodybuilding abseits des Internets und allen Zaubermittelchen auszeichnet : Training mit Gewichten.
Das ganze Thema des Eisensports wird herrlich entschleunigt und der Fokus wieder auf das gelegt, was in diesem Sport wirklich wichtig ist - und dazu zählt weder die wissenschaftliche Zusammensetzung der eigenen Makros, noch das durchexerzieren von allen möglichen Trainings-Systemen, die der hiesige Markt so bereit hält.
"Im Bestreben, mit wissenschaftlicher Akribie etwas zu optimieren, das vorher ganz gut lief, können Sie sehr schnell auch genau das Gegenteil bewirken."
Es sei gesagt, das der Autor natürlich nicht die Sinnhaftigkeit von Systemen, Trainings- sowie Ernährungsplänen anzweifelt, aber hier und da einfach zum Nachdenken mahnt und ermuntert, ab und zu den Leitsatz "keep it simple" auf das eigene sportliche Tun und Handeln anzuwenden.
Das Rad wurde seit den 70 / 80ern nicht neu erfunden, sondern man hat es mitunter etwas erweitert und dem Kind einfach einen neuen Namen gegeben (Beispiel FST-7 Training). Und wer Freude am Verständnis über die biochemischen Vorgänge im Körper beim Krafttraining hat, warum soll er sein Wissen nicht erweitern und vertiefen? Auf der anderen Seite wird man auch wachsen, selbst wenn man an den Vorgängen auf wissenschaftlicher Basis keinerlei Interesse hegt.
Achja, Thema Fotos : Bilder sind in dem Buch so gut wie keine zu finden, es gibt nur wenige, die es in den Druck geschafft haben (5 an der Zahl). Beeindruckend sind die zwei Fotos, welche den Autor mit 17 Jahren zeigen und die Wichtigkeit der Genetik (im Buch als Talent bezeichnet) bei diesem Sport deutlich aufzeigen. Heute wäre das Zeigen solcher Bilder im Internet nur mit den üblichen Reaktionen und Neidereien möglich (ich sag nur "Natural nicht möglich!").
Über den Autor
Im Gegensatz zu vielen "Experten" aus dem Internet kann Jürgen Stickelbrock (hier und da auch nur "Der Stickel" genannt) auf über 30 Jahre Erfahrung im Bodybuilding zurückblicken, und während die virtuellen Coaches meist über keinerlei Wettkampferfahrung verfügen, hat der Autor nicht selten (und sehr erfolgreich) auf den Bühnen der deutschen BB Verbände gestanden.
Mittlerweile zieht es ihn nach eigener Aussage mehr in Richtung der Highlandgames (als Athlet wie auch Vertreter und Funktionär) jedoch ohne dabei auf den Eisensport zu verzichten.
Mein Fazit
"Wählen sie für den Sport einen Weg, der Ihnen Spaß bereitet und den sie deshalb gerne gehen. Ein Weg, der Bodybuilding zur schönsten Nebensache in Ihrem Leben machen kann."
Für mich der lang herbeigesehnte "Fels in der Brandung" zur aktuellen Situation des Bodybuildings, welches im Internet vorherrscht. Das Buch liest sich sehr kurzweilig, oft musste ich schmunzeln und nicht selten auflachen, der "Stickel" bringt es in vielen Bereichen dieser Sportart einfach gnadenlos auf den Punkt. Ich wünschte mir, das sich gerade die jungen Leute, welche im Eisensport gerade ihre ersten Schritte machen, mehr auf die alten Hasen und weniger auf den ein- oder anderen beliebten (und gehypten) YouTuber hören - die Erfolge am Körperbau werden dadurch sicherlich nicht weniger und das, was in den 80ern funktioniert hat, hat heute immer noch Bestand - aber wahrscheinlich ist es eben zu simpel.
Das Buch empfehle ich auch allen Eisensportlern, die keine Fortschritte sehen, desillusioniert sind (Fortschritte machen ja nur die anderen) und nur noch gefrustet zum Gym fahren - auch hier setzt beim Lesen der bereits oben angedeutete "Erdungseffekt" ein, man überdenkt so einiges und findet dadurch möglicherweise wieder zurück zu dem, was beim Training im Vordergrund stehen sollte : Der Spaß an der Sache. Lesen!
Das Buch kaufen
"keep it simple" von Jürgen Stickelbrock wird als Taschenbuch vom literates Verlag vertrieben.
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Nachtrag 11.01.2015 : Ich habe ein kleines Video auf Facebook entdeckt... "Stickel" bei einem kleinen Trainings- und Posingseminar. Ein echter Brocken!